Der schlaue Feldwebel

Humoreske von Teo von Torn.
in: „Agramer Zeitung” vom 14.11.1905


I.

Bis ein Uhr Nachts hatte Oberlieutenant v. Schreiner im „Waldersee” gelesen. Er kannte den Leitfaden für den Dienstunterricht des Infanteristen — wie der Pastor die Bibel kennt, der Rabbi den Pentateuch und der arabische Muezzin seinen Koran. Wenn ihn Jemand zu der Stunde, wo der gesunde Mensch am festesten schläft — zwischen drei und vier Uhr Morgens also — mit der Frage geweckt hätte: „Herr Oberlieutenant, was steht auf Seite 45 des „Waldersee”?” — so würde er ohne die Augen zu öffnen, mit der Präcision einer Grammophonplatte angesagt haben: „Auf Seite 45 beginnt das 5. Capitel der Allgemeinen Dienstvorschriften: Benehmen auf Urlaub. Einsetzend mit den vierzehn Tagen, die der Compagnieführer aus eigener Machtvollkommenheit beurlauben darf, und in der letzten Zeile abschließend mit der Warnung vor schiefem Mützensitz, heraushängender Uhrkette und Cigarren zwischen den Uniformknöpfen . . .”

Dennoch büffelte er speciell den dritten Theil, der sich um die Person des Soldaten, um seinen Anzug, seine Reinigung usw., dreht, noch einmal durch — mit dem Grübelsinne eines Forschers, der hinter alten Thatsachen noch irgend eine neue, versteckte Wahrheit wittert.

Bis ein Uhr Nachts also hatte Oberlieutenant v. Schreiner im „Waldersee” gelesen — und bald nach sechs Uhr Früh war er bereits in der Kaserne. Die Compagnie, die er vertrauensweise führte, und die heute von der Brigade besichtigt werden sollte, hatte sich eben erst angezogen.

Sorgenvollen Antlitzes winkte er den Feldwebel bei Seite, der auch schon auf den Beinen war, und — nach den Zornfalten auf seiner Stirn zu urtheilen — bereits eine rege Thätigkeit entwickelt hatte.

„Haben die Kerle sich ordentlich gewaschen, Feldwebel? Gesicht, Hals, Ohren, Brust, Hände —?”

„Zu Befehl, Herr Lieutenant.”

„Haben sie sich das Maul ausgespült und die Zähne geputzt —?”

„Zu Befehl, Melde aber gehorsamst, daß der Muchovjak seine Zahnbürste auch zum Gewehrölen benutzt hat und infolgedessen — —”

„Notiren Sie: Das Ferkel hat binnen vierundzwanzig Stunden eine neue Zahnbürste vorzuzeigen. Da außerdem die Reinigung des Gewehrs nur mit einem Wischstrick, Lappen und feinem Werg bewirkt werden darf, kriegt das Schwein zum nächsten Fest keinen Urlaub. Sind die Leute sauber rasirt?”

„Zu Befehl, Herr Lieutenant.”

„Und wie steht es mit der Frisur? Der Herr General legt großen Werth darauf, daß die Länge der Haare mit einer vom Augenwinkel zum oberen Rande des Ohrs gezogenen Linie abschneidet. Daß mir also keiner wie „Ich Anna Czillag” mit 176 Centimeter langem Riesen-Loreley-Haar zur Besichtigung antanzt. Außerdem — hören Sie mal, Feldwebel, entweder träume ich oder bin sonst pupillarisch unsicher: der Kerl, der Niemann, trägt ja den Scheitel auf der rechten Seite! Sind Sie verrückt geworden, Niemann!? Stukt mir mal den Patentfatzke auf einen Schemal und zieht ihm einen richtigen Scheitel!”

II.

Eine geschlagene Stunde beschäftigte sich der Oberlieutenant in dieser Weise mit dem äußern Menschen seiner Unterthanen. Als die Leute dann — frisch und sauber wie Ehrenjungfrauen — auf dem Flur angetreten waren, konnte er zufrieden sein.

Aber war es nicht. Wiederum winkte er sorgenvollen Antlitzes die Mutter der Compagnie zu sich.

„Soweit scheint ja alles in Ordnung, Feldwebel. Trotzdem ist mir noch so vergesserlich zu Muth — als wenn wir auf Manches nicht geachtet hätten — —”

„Herr Lieutenant haben befohlen, an das Nationale der Leute erinnert zu werden —”

„Danke. Ist schon gemacht. Das habe ich gestern Abend auswendig gelernt. Meine Frau hat mich überhört — und es ging sehr schön. Nur — wo der Solsky geboren ist, kann ich nicht recht behalten. Wie heißt das infame Nest?”

„Wierzchoslawice, Herr Lieutenant.”

„Ganz recht. Werschlachos . . . äh, hol's der Deibel! Muß der Kerl in so einer unmöglichen Gegend zur Welt kommen. — Und was ist doch der Kretscher in seinem Civilverhältniß?”

„Wenn ich nicht irre, Strumpfwirker, Herr Lieutenant.”

„Strumpf — — — — Herr Gott im hohen Himmelszelt, da fällt mir ein, worauf wir nicht geachtet haben. Welche von den Kerls tragen nun Socken und welche Fußlappen! Wissen Sie das, Feldwebel?”

Als dieser verneinte, stieß ihn der Oberlieutenant die gerungenen Hände vor die Brust.

„Aber Menschenskind — das muß ich doch wissen! Der Herr General hat bei der vorigen Besichtigung danach gefragt und sich sehr gewundert, daß die Compagniechefs keine Ahnung davon gehabt haben. Es erweise das einen Mangel an Interesse, hat der General gesagt, und für die nächste Besichtigung wünsche er, daß die Herren Compagniechefs sich besser orientirt zeigen. Erinnern Sie sich denn dessen nicht?”

„Ich erinnere mich sehr wohl, aber . . .”

Der alte Feldwebel riskirte ein leises Achselzucken der Rathlosigkeit. Er hätte dem kleinen Lieutenant, der sich bei seinen ersten Häuptlingsversuchen in geradezu rührender Weise auf die größere Erfahrung der Compagniemutter stützte, liebend gern geholfen. Aber wie —?

Nach einigen Secunden angestrengten Nachdenkens glitt es wie Erleichterung über die martialischen Züge.

„Es ist unmöglich, daß Herr Lieutenant jetzt noch auswendig lernen, wer Socken und wer Fußlappen trägt —”

„Ja, Feldwebel, das ist allerdings unmöglich,” stöhnte Herr von Schreiner mit einer nervösen Handbewegung nach seiner Stirn. „Mein Kopf ist absolut voll. Was ich nun noch hineinbringen wollte, würde mir aus den Ohren und aus den Nasenlöchern wieder rauslaufen. Meine einzige Hoffnung ist, daß der General auf die Hinterflossenbekleidung nicht zurückkommt —”

„Sollte das aber doch geschehen, so wollen der Herr Lieutenant nur aufs Gerathewohl antworten.”

„Was soll ich —? Hören Sie mal, Viebing, — — Sie wollen mir doch nicht krank werden heute am Besichtigungstage —?”

„Der Herr Lieutenant können sich auf mich verlassen.”

III.

Der allgemeine Eindruck des Regiments, die Uebungen und der Parademarsch hatten den General von Madrasch sehr befriedigt. Er hatte das auch unverhohlen zum Ausdruck gebracht, Aber das Officierscorps fühlte sich dadurch noch nicht erleichtert. Niemand lockte zu früh froh. Es war bekannt, daß das dicke Ende nachkam — in Gestalt von allerhand ausgefallenen Wissenschaften, die er bei den Herren voraussetzte. Insonderheit bei den Compagniechefs, die bezüglich ihrer Leute Alles und noch einiges darüber wissen mußten.

Und dieses dicke Ende kam.

Der Herr Hauptmann von der Fünften schnitt spottschlecht ab, weil er nicht angeben konnte, wieviel Geld der dritte Mann vom rechten Flügel augenblicklich in seinem Brustbeutel hatte. Der Herr Hauptmann von der Siebenten bekam gehörig eins auf den Sabbathdeckel, weil er keine Ahnung hatte, wieviel Procent seiner Leute mit Erfolg geimpft waren. Auch wußte er nicht einmal mehr anzugeben, was seine Compagnie am Sonntag vor vierzehn Tagen zu Mittag gehabt hatte.

„Herr Hauptmann Krosbeck! Ach so — — pardon. Ist ja erkrankt und beurlaubt. Schade, sehr schade. Hätte an den Herrn Hauptmann gern eine Frage gerichtet, die er mir im vergangenen Jahre auffälligerweise nicht hat beantworten können. Wie lange führen Sie die Compagnie, Herr Oberlieutenant v. Schreiner.”

„Seit vier Wochen, Herr General.”

„Das ist nicht lange. Umso mehr würde ich mich freuen, wenn Sie mir sagen könnten, ob der fünfte Mann vom rechten Flügel des dritten Gliedes Socken oder Fußlappen trägt —”

Der kleine Lieutenant fühlte sein Herz in der ungefähren Gegend der Strecksehne des linken Fußgelenkes schlagen. Seine Sinne verwirrten sich — und daher wußte er nicht genau, ob irgend ein Anderer oder gar er selbst die Frechheit hatte zu antworten:

„Fußlappen, Herr General.”

„Sehr gut, sehr gut, Herr Lieutenant. Ich verzichte darauf, mich zu überzeugen. Und der linke Flügelmann drüben?”

„Socken, Herr General.”

„Sind Sie dessen sicher?”

„Absolut sicher.”

Oberlieutenant von Schreiner hielt seinen Degen bereit, um sich ihn nöthigenfalls durch den Leib zu rennen, wenn der General den Schwindel feststellte. Aber es geschah nichts dergleichen. Die Züge des Brigadiers strahlten in väterlicher Milde und Güte.

„Sehen Sie, meine Herren Hauptleute, das nenne ich Interesse und eindringliche Kenntniß einer Compagnie! Ich beglückwünsche Sie, Herr Oberlieutenant, und die Belohnung für Ihre Aufmerksamkeit und Sorgfalt wird nicht ausbleiben. Dessen seien Sie versichert.”

*           *           *

Nachdem Oberlieutenant von Schreiner seine Compagnie nach Hause geführt hatte, winkte er seinen Feldwebel bei Seite.

„Hören Sie, Viebing, — die Angst, die ich ausgestanden habe, gönne ich keiner Schlächterseele —”

„War überflüssig, Herr Lieutenant,”

„Aber ich bitte Sie — — wenn der Herr General hätte nachsehen lassen —!”

„Auch dann wäre nichts verloren gewesen, Herr Lieutenant. Die Kerls haben alle auf dem rechten Fuß Socken und auf dem linken Fußlappen gehabt . . .”

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